Die Syringomyelie
ist eine seltene Rückenmarkserkrankung, bei der sich im Rückenmark (bevorzugt Hals- und Brustwirbelbereich) durch Liquorzirkulationsstörungen (Liquor=Gehirn-/Rückenmarksflüssigkeit) mit Flüssigkeit gefüllte Höhlen (Syrinx = gr. für Flöte, Plural: Syringen) bilden. Diese Höhlen verdrängen funktionsfähige Nervenbahnen und Nervenzellen, so dass es zu neurologischen Funktionsausfällen kommen kann, die oft irreversibel sind. Die Größe der entstandenen Höhle steht in keiner Beziehung zu der Schwe-re der Erkrankung, sondern die Lage der Syrinx bestimmt die Symptomatik.
Viele im MRT gefundene Erweiterungen des Zentralkanals des Rückenmarks werden vom Patienten selbst nicht bemerkt. Außerdem können Durchmesser und Längsausdehnung einer Syrinx von einem Tag auf den anderen schwanken. Nicht jede im MRT diagnostizierte Syrinx wird im Laufe des Lebens auch symptomatisch. Allerdings kann auch eine noch kaum im MRT sichtbare Syrinx bereits heftige Beschwerden verursachen. Die Entstehung von Beschwerden ist von Lage und zeitlicher Entwicklung der Syrinx, aber auch von anderen Faktoren wie Schmerztoleranz des Körpers und Kombination mit anderen Erkrankungen abhängig.
Die Syringomyelie kann angeboren sein, aber genauso erst später und aus anderen Gründen entstehen. Man weiß heute, dass Störungen der Zirkulation des Nervenwassers (Liquorzirkulation) dabei eine wesentliche Rolle spielen. Die wichtigsten Ursachen für solche Störungen und damit für eine erworbene Syrinx sind:
1. Tumore und Gefäßfehlbildungen im Rückenmark
2. Arnold-Chiari-Malformation
3. Arachnopathie (durch Arachnoidalzysten, Entzündungen, Narben oder Verletzungen)
In einigen Fällen allerdings bleibt die Ursache ungeklärt.
Die Sicherung der Diagnose einer Syringomyelie erfolgt mit Hilfe der Kernspintomografie. Um zu verstehen, wie das Kernspintomogramm auch zur Aufdeckung der Ursache einer Syringomyelie beitragen kann, muss man die möglichen Entstehungsmechanismen der Syrinx näher betrachten.
Die Entstehung einer – als isoliertes Krankheitsbild sehr seltenen – „idiopathischen“ Syrinx ist im Detail noch immer nicht sicher geklärt. Es mehren sich allerdings die Hinweise in der Literatur, dass auch dafür – ähnlich wie für die Entstehung der traumatischen und postentzündlichen Syringomyelie – ein gestörtes Gleichgewicht zwischen Liquorproduktion, -zirkulation und –reabsorption verantwortlich ist. Zum Beispiel könnte ein erhöhter Druck im Liquorraum um das Rückenmark auch einen erhöhten Druck in den Venen der Umgebung zur Folge haben (3). Diese Venen sind es aber, welche die Flüssigkeit zwischen den Nerven- und Stützzellen des Rückenmarks (interstitielle Flüssigkeit) wieder aufnehmen müssen. Sind die Druckgradienten für diese Wiederaufnahme der interstitiellen Flüssigkeit schlecht (zu hoher Druck im venösen System), dann entsteht zunächst eine Schwellung (Ödem) im Rückenmark (2), später zerreißen die Gewebebrücken zwischen den Zellen und es entsteht ein kleiner länglicher Hohlraum (nach dem griechischen Wort für Flöte auch „Syrinx“ genannt), der sich ausweiten kann (1-3;5;10-13). Warum sich manche dieser Höhlen ausweiten, andere wieder nicht, ist ungeklärt. Die klinische Symptomatik muss auch nicht mit der Größe, bzw. der Zu- und Abnahme der Größe einer Syrinx korrelieren (4;6;9;10).
Die Entstehung einer im Kernspintomogramm sichtbaren und als „Syrinx“ klassifizierten Veränderung nach einem Trauma kann man sich im Prinzip durch zwei verschiedene Mechanismen erklären. Der erste Mechanismus wäre eine direkte Schädigung des Rückenmarks - durch eine Blutung innerhalb desselben oder durch eine direkte Druckschädigung in Folge einer extremen und raschen Bewegung der Halswirbelsäule. Dadurch entsteht zunächst ein Ödem, später kann eine Syrinx als Restzustand verbleiben. Eine solche massive Schädigung – meist assoziiert mit Zerreißungen der Bänder und Bandscheiben bzw. mit knöchernen Frakturen der HWS – wird im Allgemeinen anfangs schwere Symptome hervorrufen, eben die oben beschriebenen Funktionsverluste. Im vorliegenden Fall ist ein solcher Entstehungsmechanismus schwer vorstellbar. Oft findet sich dann auch im Verlauf eine Dynamik in den kernspintomographischen Untersuchungen, sei es ein abnehmender Rest an Hämosiderinablagerungen oder ein rückläufiges Ödem.
Bei dem zweiten denkbaren Mechanismus kommt es – z.B. durch Blutungen im Bereich um das Rückenmark herum (im subarachnoidalen oder subduralen Raum) zu Verklebungen und Vernarbungen. Da in diesem Raum der Liquor normalerweise frei zirkuliert, kann es durch diese Umstände zur Bildung einer Syrinx kommen. Solche „kleineren“, d.h. klinisch ohne schwere neurologische Ausfälle ablaufenden Blutungen können tatsächlich einmal mit Kopfschmerzen, Schwindel und Übelkeit einhergehen. Diese Symptome sind in aller Regel nach zwei bis drei Wochen wieder verschwunden. Eine posttraumatische Syrinx kann sich daraus dennoch entwickeln – mit wahrnehmbaren Beschwerden manchmal erst Jahre nach einem Unfall. Trifft ein solcher Mechanismus zu, würde man z.B. folgendes Beschwerdemuster erwarten:
Nach dem Unfall für einige Wochen Nacken-Hinterkopfschmerzen, evtl. Schwindel und Übelkeit. Monate bis viele Jahre später zunehmende, aber charakteristischerweise im Vergleich zum Beginn andersartige Beschwerden z.B. Schmerzen in den Schultern und Armen, Verspannungen im Rückenbereich, Sensibilitätsstörungen in den Schultern, Armen und Händen, einer Gangunsicherheit und daraus resultierend Schwindel beim Stehen und Gehen, deutlich weniger beim Sitzen und im Liegen.
Kernspintomographisch kann man Schlussfolgerungen zur exakten Entstehung und zum zeitlichen Verlauf der traumatischen Syrinx eigentlich nur ziehen, wenn man vor, unmittelbar nach und z.B. ein Jahr nach dem Unfall Aufnahmen zur Verfügung hat. Anders gesagt: weder der Syrinx noch den vielleicht verursachenden Verklebungen im Liquorraum sieht man es an, zu welchem Zeitpunkt im Leben des Patienten sie entstanden sind.
Symptome und Verlauf der Erkrankung sowie die klinischen Befunde am Patienten liefern daher wertvollste Hinweise.
Selten kann eine Anhaftung des Rückenmarks durch Bindegewebsstrukturen (z.B. das Filum terminale) zu einer Syrinx führen. Man bezeichnet eine solche Veränderung als Tethered-Cord-Syndrom (sinngemäß: Syndrom des angehefteten Rückenmarks, 7;8).
Um die Zirkulation des Nervenwassers im Schädel bzw. im Rückenmarkskanal darzustellen, ist man bei spezialisierten Kliniken in der Lage, mit einer speziellen MRT-Untersuchung den Fluss aufzuzeichnen. Dabei wird die Pulsation des Nervenwassers in Relation zum Herzschlag des Untersuchten angezeigt. Erfahrene und exakte Analyse der so gewonnenen Darstellung des Nervenwasserflusses lassen selbst kleinste Verklebungen mit Zirkulationsbeeinträchtigung des Nervenwassers erkennen.
Für die Diagnose von Empfindungsstörungen sind weiterhin elektrophysiologische Untersuchungen wie die der SSEP (somatosensorisch evozierte Potenziale) oder MEP (motorisch evozierte Potenziale) von Bedeutung.
Eine Entnahme von Nervenwasser aus dem Rückenmarkskanal (Lumbalpunktion) kann wichtige Hinweise auf andere krankhafte Veränderung im zentralen Nervensystem geben, sollte aber nur nach vorheriger Untersuchung des Kopfes mittels Computer- oder Magnetresonanztomografie erfolgen, um vor Entnahme von Nervenwasser klare Befunde über die intrakraniellen Druckverhältnisse zu haben.
Bei Föten stehen pränataldiagnostische Sonografie-Verfahren zur Verfügung, um eine Arnold-Chiari-Malformation
zu diagnostizieren.